Jüterbog Boy.
Zimmer 41.
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In der Nacht, in der ich nach sieben Kristwallweizen vollgeregnet von Friedrichshain nach Schöneberg raste, verschmolz ich zum ersten Mal richtig mit meinem neuen Fahrrad.

In der ersten Nacht träumte ich, ich hätte den Auftrag, Experimente mit Strontium durchzuführen. Das Strontium lag dunkel, rund und länglich vor mir, ähnlich wie ein schwarzes Wiener Würstchen.

Das Weichmetall ließ sich mit der Klinge eines Taschenmessers schneiden, leicht wie Gallert. Ich nahm das abgeschnittene Stück und ließ es in einen großen Zylinder aus Jeaner Glas fallen. Die Schnittkante des verbliebenen Stücks war silbrig; auf ihr bildete sich jedoch innerhalb von Sekunden eine neue, schwarze Oberfläche.

Das Strontiumstück im Glaszylinder reagierte umgehend mit der Umgebungsluft. Es entstand blitzartig eine schwarze, halbfeste, halbflüssige, brodelnde Masse, die einen Viertel des Zylinders ausfüllte. Nach etwa 10 Sekunden verdoppelte sich wiederum schlagartig die Masse im Zylinder.

Ich bekam Angst und ging nach draußen, auf die Straße, wo ein Kollege ebenfalls mit Strontium zu experimentieren hatte. Ich wollte ihn nach seinen Beobachtungen fragen. Er berichtete jedoch, er habe das Strontiumstück irgendwo verloren und sei auch nicht gewillt es zu suchen.

Schnell ging ich zurück zur Wohnung, die zwar die eigene war, aber riesengroß und leer. Altbau, Parkett, eine Art Tanzsaal. Im Treppenhaus begrüßte mich die Katze des Nachbars, laut maunzend, als wolle sie mir etwas mitteilen. Sie folgte mir bis zur Wohnungstür und verwandelte sich dort auf der Schwelle in meine Tochter.

Die Wohnung war komplett leer, alle Möbel waren entfernt worden. Auf dem Boden lagen viele Porzellanscherben. Es war feines Porzellan, wie von einer Jugendstil-Lampe. Meine Tochter gestand, ihr sei versehentlich einiges in der Wohnung kaputt gegangen. Erst schimpfte ich mit ihr, dann beschloss ich, ihr beim Aufräumen und Aufkehren der Scherben zu helfen.

In der gleichen Nacht träumte ich, mir sei beim Öffnen einer Konservendose ein Missgeschick passiert. Erst Minuten später fiel mir im Traum auf, dass sich durch diese Ungeschicklichkeit meiner gesamter rechter Daumennagel gelöst hatte und im 45 Grad Winkel von dem Finger abstand. Nur eine Bewegung von mir und er würde abreißen. Ich fühlte brennenden Schmerz an ebenjener Stelle. Stellte sodann auch fest, dass ich die Haut am Nagel zurückziehen und auf Blut und schieren Knochen blicken konnte. Zugleich war mir klar, dass dies so grauenvoll und unverhältnismäßig war, dass es sich dabei auch um einen Traum handeln müsse.

In der zweiten Nacht ging ein unglaubliches Gewitter hernieder.

Und am dritten Tage hörten wir Strawinsky und Mahler in der Philharmonie.